Nachhaltigkeit und Transformation als Chance: Wir sind jetzt viel erfolgreicher.
Interview mit Richard Weller über wertebasierte Führung, transformative Nachhaltigkeit und warum Unternehmen umlenken müssen, um künftig erfolgreich zu sein.
Für Ungeduldige - Interview als Podcast
Die Alpha IC wird seit einigen Jahren wertebasiert geführt. Was heißt das konkret?
So wie sich jeder Mensch mit seinen Werten auseinandersetzen sollte, muss das auch ein Unternehmen tun. Die Alpha IC hat 2018 ihr Leitbild durch die Mitarbeiter*innen erarbeiten lassen. Um uns laufend mit unseren Werten auseinanderzusetzen, haben wir 2020 einen monatlichen Wertedialog eingeführt. Hierbei nehmen wir uns alle vier Wochen einen Wert aus unserem Leitbild heraus und führen eine Stunde lang eine Diskussion mit allen Mitarbeiter*innen darüber. Dabei stellen wir drei Fragen: „Wie definierst Du diesen Wert für Dich?“, „Wie pflegst Du ihn mit deinen Geschäftspartnern?“ und „Wie pflegst Du diesen Wert mit deinen Kolleg*innen?“ Zudem haben wir ein neues Partnermodell aufgebaut. Eine Führungskraft führt ein interdisziplinäres Team von drei bis fünf Mitarbeiter*innen. Und zwar nicht im fachlichen Kontext, sondern auf sozialer und werteorientierter Ebene. Ziel ist, sich mit den Menschen und ihren persönlichen Werten auseinanderzusetzen. Wir wollen damit erreichen, dass eine verstärkte Integration der Werte und der Menschen in die Alpha IC stattfindet.
In dem Austausch lernst du auch als Führungskraft dazu?
Unbedingt. Wertebasierte Führung ist ein Prozess für alle Beteiligten. Ein Beispiel dazu: Vor einigen Jahren waren vier Mitarbeiter*innen sehr intensiv in ein sehr schwieriges Projekt eingebunden. Alle standen extrem unter Stress. Da wollte ich den Mitarbeiter*innen als Geschäftsführer etwas Gutes tun und ihnen einen Sonderbonus geben. Darüber sollten sie aber nicht mit den anderen Kolleg*innen sprechen. Was passierte? Die Mitarbeiter*innen haben das abgelehnt, weil das unseren Firmenwerten „Ehrlichkeit“, „Offenheit“ und „Transparenz“ widersprach. Im ersten Moment war ich von dieser Reaktion überrascht. Obwohl ich etwas Gutes tun wollte, hatte ich unbewusst gegen unsere Werte verstoßen. Im Nachgang bin ich sehr dankbar, dass meine Mitarbeiter*innen den Mut und die Offenheit hatten, mir zu sagen „Lieber Richard, du hast dich gegen unsere Werte verhalten“. Das fand ich große Klasse.
Du selbst hast zuvor lange in Unternehmen mit sehr traditionellen Organisationsstrukturen gearbeitet Was war deine Motivation, es bei Alpha IC anders zu machen?
Seit zwei Jahrzehnten mache ich Führungsarbeit in verschiedenen Unternehmen. Vielleicht habe ich unbewusst schon immer werteorientiert geführt. Immerhin arbeite ich mit vielen meiner früheren Kollegen noch immer zusammen. Bewusst wurde mir das aber erst, als ich in einem Konzern tätig war, in dem einzig zahlenorientiert und egobasiert geführt wurde. Da habe ich mich gefragt, wo hier die Werte sind. So wollte ich nicht arbeiten. Parallel dazu hatte ich über viele Jahre Kontakt mit Sebastian Hölzlein, dem Gründer der Alpha IC. Wir haben viel darüber diskutiert, wie wir führen wollen und was uns dabei wichtig ist. Diese Auseinandersetzung war für uns beide besonders wichtig. Wir haben sehr bewusst entschieden, eine werteorientierte Führung bei der Alpha IC umzusetzen.
Impulse gaben mir auch Bücher, wie „Big five for life“ oder „Die stille Revolution“. Das sind keine Fachbücher, sondern es sind schöne Geschichten und Erfahrungsberichte zu werteorientierter Führung, die mir weitere Denkanstöße gaben. Genau darum geht es auch: bereit zu sein, Impulse aufzunehmen und diese in die eigene Organisation zu überführen, wenn sie denn dazu passen.
Das klingt alles sehr positiv. Ich weiß aber aus anderen Gesprächen mit Dir, dass ihr auch immer wieder in diesem Transformationsprozess vor herausfordernden Situationen standet. Worin stecken deiner Meinung nach Risiken, wenn man diesen Weg einschlägt?
Viele Menschen haben Misstrauen in Unternehmen erlebt. Es gilt, diese Ängste ernst zu nehmen und aufzulösen. Und es braucht Durchhaltevermögen. Werteorientierte Führung ist kein Programm, das sich in drei Monaten in einem Unternehmen verankern lässt. Wir machen das jetzt seit dreieinhalb Jahren und arbeiten immer noch täglich daran. Es besteht immer das Risiko, dass wir Mitarbeiter*innen auf diesem Weg verlieren, weil sie ihn nicht mitgehen können oder ihnen, dass damit verbundene, eigenverantwortliche Arbeiten schwerfällt.
Werte in eigene Strukturen zu verankern, wird als ein Schritt zur nachhaltigen Entwicklung eines Unternehmens gesehen. Was braucht es, damit eine wertebasierte Führung zu einer wirklich nachhaltigen Unternehmensführung wird?
Dafür gibt es ein Wort: Haltung. Wir müssen die Mitarbeiter*innen stärken, Haltung zu zeigen. Das gelingt nur, wenn wir selbst Haltung vorleben. Wir stellen dabei die Werte in den Mittelpunkt, nicht den wirtschaftlichen Erfolg. Auch hierzu ein kleines Beispiel: Wir hatten vor einiger Zeit eine Projektanfrage, waren aber unsicher, ob es unserem Werteverständnis entspricht für dieses Unternehmen zu arbeiten. Also befragten wir unsere Mitarbeiter*innen. Hierbei haben viele nicht nur mit Ja oder Nein geantwortet, sondern uns sehr detailliert begründet, warum sie für oder gegen ein Angebot waren. Am Ende haben zwei Drittel dafür gestimmt, dass wir anbieten. Ich fand diesen Prozess hochspannend.
Nicht nur der wirtschaftliche Erfolg ist eine der Leitplanken für die Geschäftsführung und die Mitarbeiter*innenbei Alpha, sondern auch der positive Impact für die Umwelt. Wie stellt Ihr sicher, dass es nicht zu Kompromissen bei der Umwelt zu Gunsten des wirtschaftlichen Erfolgs kommt?
Ohne Kompromisse geht es nicht. Im Zuge dieser Kompromisse müssen wir aber versuchen, das Maximum für den Umweltschutz herauszuholen. Das haben wir dieses Jahr auch in unseren Zielen noch tiefer verankert. Wir sind in der Nachhaltigkeitsberatung aktiv und legen daher sehr großen Wert auf das Thema Ökologie. Wir haben unsere Beratungsprodukte überarbeitet und stellen unseren ökologischen Ansatz stark in den Vordergrund – auch wenn das für uns ein erhöhter Aufwand ist, den wir nicht bezahlt bekommen. Wir erleben auch immer wieder, dass sich ein Kunde nicht so bewegt, wie wir es uns wünschen würden. Das kann sehr frustrierend sein.
Wenn es uns gelingt, Kunden, die monetär orientiert sind, dazu zu bewegen, erste Schritte in Richtung Umweltschutz zu machen, dann haben wir schon viel geschafft.
Eure Motivation der wertebasierten Führung ist gewissermaßen intrinsisch. Nun gibt es viele andere Unternehmen, die noch ganz konventionell wirtschaften. Kann man nachhaltig Führen lernen und wenn ja, was ist dafür notwendig?
Wenn man zukünftig erfolgreich sein will, muss man wertebasierte Führung lernen. Die Mitarbeiter*innen haben mittlerweile andere Anforderungen an das Arbeitsleben. Sie wollen sich mit dem identifizieren, was sie tun. Das heißt für mich, Führungskräfte und Unternehmen müssen lernen, nachhaltig, werteorientiert zu führen. Nach meiner Einschätzung können das 80 Prozent der Führungskräfte aktuell noch nicht. Die Hälfte davon wird auch nicht mehr in der Lage sein, es zu lernen. Sie sind schon zu lange in den althergebrachten Führungsmethoden verankert, führen zahlenorientiert und achten nicht mehr auf die Werte. Diese Unternehmen sind gefangen in den verschiedenen Zwängen der Stakeholder. Über diese Unternehmen mache mir tatsächlich etwas Sorgen.
Und die andere Hälfte?
Die kann es lernen. Dafür muss allerdings Bereitschaft und Offenheit vorhanden sein, sich mit seinen eigenen Werten auseinanderzusetzen. Das braucht Mut und Kraft. Es ist sehr anstrengend, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das habe ich selbst durchlebt. Oft schafft man das nicht allein. Deshalb muss ebenso die Bereitschaft vorhanden sein, sich Unterstützung von außen zu holen.
Der Dialog mit allen Beteiligten kann sehr aufwendig sein. Viele Führungskräfte würden da abwinken und sagen „so viel Zeit und Geduld habe ich nicht“. Wie geht ihr damit um?
Kommunikation ist eines der wichtigsten Themen. Unser Organisationsmodell lebt von der Kommunikation. Sebastian und ich haben unsere Stärken sehr gut aufteilen können. Sebastian kümmert sich schwerpunktmäßig um das Geschäft nach außen und ich mich um die Kommunikation und die Menschen nach innen. Auch mit unserem Partnermodell bieten wir ganz bewusst Raum und Zeit für Kommunikation innerhalb der Teams. Und wir haben ein Kommunikationskonzept entwickelt, das festlegt, auf welchen Ebenen und in welchen Kreisen, wir welche Themen besprechen. Endlosdiskussionen wollen wir vermeiden. Das müssen wir auch Kollegen*innen erklären. Dazu braucht es Geduld und Bereitschaft. Ich vergleiche das gern mit einem Produktionsunternehmen. Der Unternehmer achtet darauf, dass die Maschinen, die er hat, hervorragend gewartet sind, damit er gut produzieren kann. Warum vernachlässigen viele Unternehmen ihre Mitarbeiter*innen, die ja auch „produzieren“?
Auch Menschen brauchen Pflege. Das geht am besten über Kommunikation. Wir setzen uns offen und ehrlich mit den Menschen, unseren Mitarbeiter*innen, auseinander und nehmen deren Wünsche, Ängste, Nöte und Anforderungen ernst. Es lohnt sich, die dazu erforderliche Zeit zu investieren.
Ist eure neue Art der Unternehmensführung auch wirtschaftlich erfolgreicher?
Ja. Absolut. Wir sind wirtschaftlich sehr viel erfolgreicher. Wir haben uns in den letzten drei Jahren hinsichtlich Größe und Umsatz verdoppelt und auch trotz Corona ohne staatliche Hilfen ein gutes Ergebnis im Jahr 2020 erzielt. Zugleich hatten wir einen sehr hohen positiven Impact auf unsere Umwelt und auf die Gesellschaft. Hinzu kommt, dass wir kein Problem haben, gute Mitarbeiter*innen zu finden. Zusätzlich haben wir weniger Fluktuation, was wieder wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Es hat sich herumgesprochen, wie das Arbeiten bei uns ist. Das ist ein schöner Kreislauf. Wir sind jetzt viel erfolgreicher und gehen den Weg auf jeden Fall so weiter.